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Mit 30.12 2008 wurde sie vorläufig angehalten, sodass sie an die Forensische Abteilung verlegt wurde.
In den ersten Monaten war sie durchgehend psychotisch. Sie hörte ständig Stimmen, die ihr meist sagten, dass sie sie gerne leiden sehen würden, dass sie sie quälen wollten. Sie meinte, sie stehe in enger Verbindung mit Gott, nur Gott und sie seien genial.
Sie gab auch an, auf Abteilung XY habe es ein Komplott gegen sie gegeben, angeführt durch Dr. XY, und man habe sie dort umbringen wollen. Sie meinte auch, ihre Mutter hätte ein Verhältnis mit Hrn. Dr. XY gehabt.
Auf der Station bezog sie viele Dinge auf sich, meinte z.B. ein Häftling würde nur wegen ihr entlassen. In den ersten Monaten lehnte Frau Koller Besuche ihres Vaters ab, da sie ihn als verantwortlich für ihre Einweisung ansah. Ab März 2009 lehnte sie auch über längere Zeit Besuche ihrer Mutter ab. Sie gab an, die Mutter wolle sie nur ausspionieren, beschimpfte auch die Mutter mehrfach. Sie fühlte sich auch von ihren Geschwistern ausspioniert und ließ fast nur Besuche ihres Bruders zu, wobei sie ihm meistens auch Dinge auftrug, die sie brauchte. Weiter fühlte sie sich mit Gott eng verbunden, gab teilweise sogar an, Kinder von ihm zu haben.
Die medikamentöse Therapie gestaltete sich schwierig. Bei bisherigen stationären Aufenthalten wurde schon mit Abilify, Risperdal und Zyprexa therapiert, was jeweils wegen nicht ausreichender Wirksamkeit bzw. selbstständigem Absetzen wieder beendet wurde.
Sie war anfangs nur mit einer Einstellung auf Seroquel bis max. 700 mg täglich und einer geringen sedierenden Medikation einverstanden. Da diese Einstellung keine ausreichende Wirksamkeit bezüglich ihrer paranoiden Ideen zeigte, wurde von unserer Seite ständig verlangt, die Dosis von Seroquel zu erhöhen oder die Medikation umzustellen. Dem stimmte sie jedoch lange Zeit nicht zu. Teilweise gab sie auch an, sie müsse erst Gott fragen, was sie tun solle.
Zeitweise gab sie auch an, sie sei selbst Gott. Sie drohte uns auch an, sie würde uns alle ausrotten. Aufgrund ihrer Drohungen und aufgrund ihres zunehmend dysphorisch bis verbal aggressiven Verhaltens wurde vereinbart, sie auf Haldol i.v. umzustellen. Dies wurde mit 11.5.09 begonnen, doch entwickelte sie darauf mehrfach ein Harnverhalten, sodass sie bald einverstanden war, Haldol wieder abzusetzen und stattdessen Risperdal oral einzunehmen. Risperdal wurde bis auf eine Dosis von 7 mg aufdosiert. Es kam unter dieser Medikation jedoch zu keiner Verbesserung der psychotischen Symptomatik. Subjektiv empfand sie ihre starke Lärmempfindlichkeit auch als sehr unangenehm, die sie sonst nur auf Abilify gehabt hätte.
Am 26.5.2009 kam es zu einer Flucht, bei der die Patientin von einem vom Pflegepersonal begleiteten Ausgang entwich. Es wurde eine Fahndung eingeleitet. Später tauchte sie zuhause auf. Sie gab an, den Lärm nicht mehr ausgehalten zu haben.
Da auch die medikamentöse Einstellung auf Risperdal keine Verbesserung brachte, wurde Fr. Koller mit 18.6.2209 auf Serdolect eingestellt. Dieses wurde langsam bis 20 mg aufdosiert.
Im 7/2009 empfing sie erstmals ihren Vater zu Besuch, wobei sie ihn fragte, ob er ihr etwas antun wolle. Im Juli gab sie an, es gehe ihr jetzt besser, sie hörte weniger Stimmen, erzählte jedoch, dass sie die Stimme des Teufels höre, dass wir – das Krankenhauspersonal – sie quälen wollten.
Ende Juli 2009 sprach sie von einer „Anti Barbara Koller Organisation“, die es darauf abgesehen hätte, sie zu quälen. Wir wären auch Teil dieser Organisation.
Im 8/2009 bestand vorübergehend eine Beziehung zu einem Mitpatienten, die sie jedoch dann wieder beendete, da sie sie nicht für ausreichend tief einschätzte.
Im Herbst 2009 besserte sich ihr Befinden langsam. Ende 9/2009 kam es erstmals zu einer Distanzierung von der psychotischen Symptomatik, als sie mitteilte, dass sie einen Wahn habe. Sie höre zwar noch Stimmen, dass sie gehasst werde, doch glaube sie dieser Stimme nicht mehr.
Im Laufe des Winters 2009/2010 versuchte sie immer wieder Strategien zu entwickeln, wie sie sich von diesen Stimmen ablenken könnte. Sie verbrachte auch das Weihnachtsfest 2009 eine Nacht zuhause. Dieser erste längere Ausgang verlief unauffällig.
Im Frühjahr 2010 fiel auf, dass Frau Koller sich nicht an die Regeln hielt, sondern in ihren Hausausgängen einfach nach Hause ging. Darauf wurde die Lockerung für einige Zeit zurückgenommen, das heißt, sie hatte keine Ausgänge mehr.
Sowohl von Frau Koller als auch von ihren Eltern wurde zunächst gewünscht, dass sie nach einer ev. bedingten Entlassung wieder zuhause wohnen solle. Diesbezüglich folgten mehrere Gespräche, teilweise auch mit Frau Prim. Dr. XY. Von unserer Seite wurde unterstützt, dass Frau Koller eine UdU im XY (Übergangswohnhaus) machen solle und dann eine betreute Wohnung bekommen solle. Es ist auch sehr wichtig, sie in eine Tagesstruktur zu integrieren. Schließlich sahen die Eltern auch die Vorteile ein, die vor allem in der Selbstständigkeit ihrer Tochter und in der professionellen Betreuung liegen. Auch fanden die Konflikte ja bisher immer im Elternhaus statt.
Im 3/2010 wurde zum Ausschluss eines Hypophysentumors bei Hyperprolaktinämie ein MR des Schädels angefertigt, welches unauffällig war. Die Knochendichtemessung war ebenfalls unauffällig.
Ab Frühjahr 2010 erhielt Frau Koller mehr Ausgänge mit ihren Angehörigen und auch am Wochenende. Besonders mit ihrer Mutter unternahm sie viel, machte Spaziergänge oder andere Unternehmungen.
Ab April arbeitet Frau Koller auch im Haushaltstraining im XY mit. Ihre Rückmeldungen sowie die der Betreuer waren durchwegs positiv. Ab Mai ging Frau Koller regelmäßig mit XY (Psychosozialer Verein) schwimmen. Sie bekam auch immer wieder Besuch von einer früheren Freundin und nahm am Klassentreffen teil.
Sie schickte ihre Gedichte an einen Verlag, der das ganze Manuskript lesen wollte.
Ende Mai 2010 nahm Frau Koller auch am Erlebnispädagogikprojekt teil, was ihr trotz anfänglicher Widerstände (wegen dort fehlender sanitärer Anlagen) gut gefiel.
Mit 19.7. 2010 wurde das erste Mal probeweise eine UdU (Unterbrechung der Unterbringung) im XY (Übergangswohnhaus) unternommen. Sie sah diese sehr ambivalent, einerseits genoss sie ihre Freiheit, andererseits wollte sie gerne schon in der Stadt wohnen. Es wurden in der Folge ab Oktober aufeinander folgende, vom Anstaltsleiter genehmigte UdUs im XY unternommen. Nachdem sie sich anfangs sehr stark zurückzog, besserte sich ihr Verhalten aber zusehends. Sie wurde aktiver und unternahm auch viel mit einem anderen Bewohner z.B. Radfahren.
Im 11/2010 starb ihr Großvater, was sie emotional sehr traf.
Ab 10.11. 2010 erhielt sie dann einen fixen Wohnplatz im XY (Übergangswohnhaus).
In einem Gutachten von Prof. XY wurde vorgeschlagen, dass sie mind. 1 Jahr im XY (Übergangswohnhaus) wohnen solle, was ihr überhaupt nicht gefiel.
In den Wintermonaten 2010/11 trat die psychotische Symptomatik immer mehr in den Hintergrund. Zwar hörte sie gelegentlich noch Stimmen, konnte sich aber davon distanzieren. Sie glaubte auch nicht mehr an deren Inhalte, falls ihr wieder mitgeteilt wurde, dass sie gequält werden solle. Zu Weihnachten 2010 machte sie einen Ausgang über 2 Nächte zu ihrer Familie.
In der UdU im XY (Übergangswohnhaus) wurde sie zunehmend selbstständiger. Sie unternahm auch gelegentlich Shoppingtouren mit einer anderen Patientin in der Stadt oder in der Plus City. Auch ihre eigene Versorgung funktionierte gut.
Ein Problem bestand in ihrer ständigen Gewichtszunahme, im Jänner 2011 hatte sie 96 kg (Gewicht bei Aufnahme 30.12. 2008: 83kg). Diesbezüglich machte sie sich auch viele Gedanken und wollte an einer Selbsthilfegruppe teilnehmen.
Aufgrund des verbesserten Zustandsbildes sprach sich auch das Gutachten für eine bedingte Entlassung aus. Somit wurde Frau Koller am 1.2.2011 bedingt entlassen, Probezeit 5 Jahre, unter Erteilung von obigen Weisungen. Die weitere Betreuung wird in XY (Forensische Ambulanz) erfolgen.
Frau Koller wurde zunächst ins XY (Übergangswohnhaus) entlassen.
Liebe Nora!
In tiefer Rührung und aufrichtiger Achtung möchte ich dir meinen Dank und meine Wertschätzung für deine Musik aussprechen. Ebenso wie ich wolltest du Menschen aufrütteln, ihre Auffassungen der Ausgrenzung und des Beherrschens zu revidieren.
Von ganzem Herzen fühle ich mit dir, dass du für dich keinen Ausweg gesehen hast. Dein Wirken und dein Andenken werden in Ehren gehalten werden von jenen, die dies nur zu gut verstehen.
Wir haben beide eine schwierige Geschichte, viele Gemeinsamkeiten bezüglich der Erlebnisse. Du hast so viel geschafft, ich weiß, dass du das weißt.
Du hast etwas bewegt und du bleibst lebendig und unvergessen in den Gedanken von vielen Menschen. Dein Anliegen wird nicht verhallen, das verspreche ich dir. Wir sind in Gedanken ein Team.
Alles Glück und allen unermesslichen Zauber dieses Universums für immer und ewig!
Namaste
Barbara
2 Antworten zu “Arztbrief Forensik 2011 (Teil 2)”
Liebe Barbara!
Wow, vielen Dank für deine Veröffentlichung….der Einblick in eine Erkrankung welche ich nicht kenne… unglaubliche Herausforderung 🙏
Die besten Wünsche und überhaupt
Jetzt verstehe ich dich wieder etwas besser
Liebe Manuela!
Danke für deine Bereitschaft, dich einzufühlen und für dein Verständnis. In Worten lässt sich das Erlebte sehr schwer beschreiben. Ich danke dir aufrichtig, dass du dir Gedanken machst und ich schicke dir liebe Grüße!
Barbara