Seit nun mehr als 25 Jahren betreibe ich konsequent Realitätsverweigerung. Immer wenn ich an Menschen, in die ich verliebt war, Interesse zeigte, war die Begeisterung der Betroffenen am Anfang riesengroß. Erst in dem Moment, wenn meine Zwanghaftigkeit und Abhängigkeit zum Vorschein kamen (und diese sind auch spürbar, wenn man keinen Kontakt hat), ging dieses Interesse wieder verloren. Und ein neuer alter Sehnsuchtstraum nahm jedes Mal bei mir seinen Anfang. Dies sind die Fakten, die sich wie ein roter Faden durch mein Liebesleben ziehen.
Dabei war es umgekehrt bei mir ebenfalls so, dass, wenn ich bemerkte, dass es für jemanden so dringend sein musste, dass wir zusammenkamen, ich dies nicht wollte, da ich spürte das dieser Wunsch wenig mit mir zu tun hatte, sondern der andere mit sich selbst nicht im Reinen war – wie ich. Ich will jenen Zustand nicht mehr als „Liebeswahn“ bezeichnen, sondern als überschwängliche Verliebtheit, denn ich bin kein Fan psychiatrischer Diagnosen und Hospitalisierung, obwohl unsere Gesellschaft und die Art und Weise, wie formell und distanziert wir miteinander umgehen, auch dies hervorbringt.
Meine unkontrollierte Überschwänglichkeit kommt immer in Wellen, ab und zu geht es mir besser, öfters fühle ich mich wieder gefangen. Heute zum Beispiel liege ich schon den ganzen Tag im Bett, ich komme einfach nicht auf vor lauter Träumen von einem Kuss meines Traummannes. Ich wünschte, die Sonne würde herauskommen!
Einerseits kann diese Vorstellungswelt sehr beglückend sein, andererseits fördert sie mein Alleinsein zusehends. Ich bin erstickt und gelähmt vor Schmerz, wenn ich der Kälte und Lieblosigkeit meiner Angebeteten gegenüberstehe. Regelmäßig laufe ich durch die Stadt mit einem gloriosen Grinsen im Gesicht – dieses ergreift auch andere – vor allem Männer. In jenen Augenblicken (und auch so fast die ganze Zeit über) denke ich an den Mann, in den ich verliebt bin und male mir Situationen aus, wie ich wirken könnte oder vielleicht bereits gewirkt habe. Schöne Erinnerungen zaubern mir stets ein leuchtendes Strahlen ins Gesicht und ich kann mich nicht zurückhalten, egal wo ich bin. Dann macht es erneut „Klick“ und ich spüre pures Glück.
Vor Kurzem blieb ein ausländischer Mann stehen und sagte zu mir: „Hey, lucky Lady … ich hab‘ eine Frage, bitte, bitte ich hab‘ eine Frage …!“ Aber ich war schon verschwunden, war geflüchtet. Wenn ich mit diesem strahlenden Lächeln unterwegs bin, werde ich oft angesprochen, ich strahle überglückliche sinnliche Fantasien aus und ich habe den Eindruck gewonnen, dass jene Männer sich angesprochen fühlen wollen, die Subjekte sein wollen, auf die sich meine Verträumtheit bezieht. Gestern waren es wieder zwei. Hingegen ich schlage all diese Möglichkeiten von vornherein aus und bin dann traurig, dass ich allein bin. Heute bricht der Frust wiederum über mich herein. Ich bin einfach vorsichtig und zurückhaltend – so bin ich zumindest momentan gestrickt – definitiv. Ein Kellner in einem Eissalon sagte mir gestern, dass ich eine sehr schöne Dame wäre und dass er sich freuen würde, wenn ich wiederkäme – ich weiß nicht, ob ich wieder hingehe. Ich habe zurzeit erneut mein Höchstgewicht und ja, es ist auch ein Kompliment und ich müsste lügen, wenn ich abstreiten würde, dass ich mich unter anderem geschmeichelt fühle. Jedoch fühle ich mich ebenso genervt, da sich meine Verträumtheit immer nur auf einen wirklich bezieht, auf den Einen und Einzigen, der mir keine Aufmerksamkeit schenkt.
Vielleicht würde jeder, auf den ich so vehement verträumt zugehe, „Nein“ sagen und das Weite suchen? Je weniger ich investiere, desto mehr gehen andere in der Romantik auf mich zu! Hingegen daran war ich nie interessiert, da beißt sich die Katze in den Schwanz –
was für ein kompliziertes Dilemma …
Eine Antwort zu “Einsamer Zauber am Elfenbeinturm”
Wieder toller Beitrag!!!