Das begrenzende Institutionalisiert-Werden – Von Schule, Psychiatrie und vom goldenen Zeitalter


Das Leben schreibt schon unglaubliche Geschichten und Erkenntnisse. In der Tat, die Zeit auf Erden kann verwunderlich sein, mir sind zahlreiche Dinge passiert, die ich nicht erwartet hatte.

Während meinem Lebensabschnitt auf der Psychiatrie beispielsweise fühlte ich mich mit den Patientinnen im Krankenhaus innerhalb kürzester Zeit mehr verbunden und war ihnen näher als meinen Klassenkameraden in acht Jahren Schulzeit. Wirklich ein Phänomen.

Das gemeinsame Leiden, die Hochsensibilität und die emotionale Intensität verbanden so sehr. Der Kontakt gestaltete sich viel unverstellter und einfacher. Jenseits davon, was andere jemals über mich erzählt haben, ich kann beschwören, dass ich – vor allem in der Schulzeit – immer nur betont habe, wie gering meine Fähigkeiten wären, wie wenig ich intellektuell von mir halten würde. Das weiß ich ganz sicher. Außerdem gefiel ich mir ebenso optisch nicht, ich dachte, ich hätte ein Mondgesicht und andere schreckliche Mängel. Ich degradierte mich permanent.

Ohne mich selbst abwerten zu wollen, bin ich trotzdem auch jetzt der Auffassung, dass ich schulisch ziemlich unbegabt war und die Kompetenz, das Durchhaltevermögen und die Intelligenz für ein Hochschulstudium hatte und habe ich sowieso nicht. Aber für mich ist das auch nicht mehr wichtig. Doch verfüge ich über eine andere Form von Intelligenz, die auf jener Ebene nicht messbar ist.

Die meisten Patientinnen im Krankenhaus hatten keine akademischen Titel, jedoch hatten viele von ihnen herausragende geistige Fähigkeiten, waren sehr weise, subtil und wissend in Bezug auf Gefühle. Damit fühlte ich mich zuhause, ich gehörte dazu, war angekommen. Endlich war ich mit meiner Verletzlichkeit kein Außerirdischer mehr, sondern vielmehr umgeben von Menschen, die so waren wie ich!!

Ich der Schule war alles sehr formell, ich konnte nicht verrückt oder „weltentrückt“ sein, ohne dafür bezahlen zu müssen. Noch heute träume ich nachts von dem Trauma, geprüft zu werden und rein gar keine Antworten geben zu können. Auf der Psychiatrie war es auch sehr steril, hingegen erlebte ich Patientinnen, die so weit absorbiert waren von Zeit und Raum, dass sie bekleidet duschten, Bäder überfluteten, unbekleidet herumliefen, Urschreie von sich gaben, stahlen, kreischten und um sich schlugen; Frauen, die sich vor laufenden Kameras, vor dem Personal und anderen Patientinnen tagsüber selbst befriedigten, sich schnitten und Wunden in ihre Haut ritzten, magersüchtig waren, nach Essanfällen absichtlich ein Erbrechen herbeiführten, Drogenentzüge durchzustehen hatten, …

Frauen, die fixiert wurden, die Selbstmordversuche begingen. Fest steht, ich hab‘ so viel Dramatisches, Ungewöhnliches, Anrührendes, für hochnäsige Zeitgenossen „nicht Salonfähiges“ und Beängstigendes gesehen.

Allerdings auch Frauen – dieselben Frauen – die miteinander fühlten, unendlich kreativ waren, die künstlerisch begabt waren, die so unfassbar Tiefgreifendes und Spirituelles zu mir sagten, wie ich es noch nie davor gehört hatte. Des Weiteren Frauen, die sich gegenseitig aufbauten und halfen, die überwältigend schöne Komplimente machten, die mich in vielen seelischen Einstellungsfragen auf einen sehr positiven Weg brachten; indes Frauen, die kompetent und stark sowie entschlossen waren, ihren Traumata ins Auge zu blicken und die ihre Krisen transformiert und gereift überwanden. Mutige, tapfere, kluge und liebenswürdige Patientinnen und Patienten. Meister: innen ihrer Lebenssituationen, Profis in ihren außergewöhnlichen Herausforderungen.

Zumeist denke ich dementgegen viel über meine Jahre als Schülerin nach, zumal meine psychischen Probleme damals ihren Ursprung fanden. Plötzlich war ich in einer Wahrnehmungswelt, die meine gesamte Aufmerksamkeitsspanne in Anspruch nahm. Da war kein Raum mehr für den Unterricht, fürs Mitschreiben, fürs Lernen. Nie zuvor und nie wieder danach habe ich mich im Hinblick auf Begabungen und Talente so unfähig und minderwertig gefühlt wie in den Lebensjahren von 17-28. Im Alter von 28 Jahren brachte ich schließlich mein erstes Buch heraus, hatte die Passion fürs Schreiben entdeckt. Mittlerweile kann ich mich viel besser entfalten als früher, ich habe unter anderem heilsame Erfahrungen gemacht und traue mir wesentlich mehr zu als in meiner Jugend.

Was ich wirklich bedenklich finde, ist, dass aus den Institutionen im Gegensatz dazu häufig anpassungsbereite, fügsame und systemhörige Mitläufer hervorgehen, nicht ausschließlich, aber eben noch kontinuierlich. Anstatt dass eigenständig denkende, mündige, aufgeschlossene Seelen, die in sich ruhen, dort gefördert würden. Diese „Gehirnwäsche“ kommt daher, dass Macht, Autorität und Anerkennung stets konstant eine immense Rolle spielen. Sich für etwas einzusetzen, was man von Herzen her will, was man mit seinem ganzen Herzen glaubt, es überhaupt zu spüren, wird aus Angst vor dem Risiko zur Diffizilität.

„Der Club der toten Dichter“ von Peter Weir ist einer meiner Lieblingsfilme, solche Filme gibt es, meiner Beobachtung nach, kaum mehr.

Bei der folgenden Szene habe ich immer wieder Herzklopfen, Gänsehaut und es steigen mir Tränen in die Augen. So bedeutsam ist sie für mich …

Mir ist aufgefallen, dass manche Leute den Standpunkt vertreten, dass Patientinnen und Patienten auf der Psychiatrie dumm wären. Meiner Erfahrung nach wissen letztere jedoch mannigfach Vielschichtiges, eben weil sie die Psychiatrien erlebt haben. Fernerhin, ich habe Menschen aus allen sozialen Schichten und Milieus kennengelernt, von Obdachlosen bis hin zu Elite-Akademikern, die mir davor unbekannt gewesene Schicksale erlebten, die in Ausnahmesituationen waren. Menschen, die ab und zu überhaupt keinen Schulabschluss hatten, oftmals jedoch blitzgescheit waren. In der Nervenklinik waren die Extremsituationen Alltag.

Bis jetzt finde ich es schade, dass Menschen mit psychischen Besonderheiten nicht liebevoller integriert werden in die Gesellschaft. Dass man sie in Krankenhäusern unterbringen muss – isoliert, abgesondert und ausgegrenzt – weil die Bereitschaft und die Fähigkeit nicht gegeben sind, sich unverbildet, unbefangen, konstruktiv und vorurteilsfrei mit jenen auseinanderzusetzen. Man ist als Patient im Krankenhaus ausschließlich mit schwierigen, tragischen Lebensgeschichten konfrontiert, mit Menschen, die unsagbar gequält sind und leiden, wie soll man da ins Gleichgewicht zurückfinden? Die Welt ist einfach nicht so weit, die besonderen Fähigkeiten dieser Menschen zu sehen, somit scheint es tatsächlich so, als ob Hospitalisierungen unumgänglich wären, da die Patientinnen und Patienten ja in der „unbewussten“ Gesellschaft sozialisiert werden und selbst denken, mit ihnen stimme etwas nicht. Dann werden sie ärztlich behandelt und brauchen ob des Mangeldenkens wirklich Medikamente – es ist ein Teufelskreis.

Wenn man mit ihrem Erleben andererseits auf eine ungekünstelte, selbstverständliche Art umgehen würde, könnte man anfängliches Leiden auffangen und weiteres Leiden verhindern; wenn wir insgesamt ursprünglicher, unkomplizierter, naturverbundener und geerdeter wären und weniger abgehoben und zugeknöpft, entstünde das Leiden wahrscheinlich erst gar nicht.

Dann wären Menschen mit psychischen Besonderheiten spirituelle Medien und Heiler (tief in uns drinnen sind wir das alle!!). Woran psychosoziale Vereine, die Pharmaindustrie und die Gesellschaft insgesamt keinen Gefallen finden würden. Zu viele Menschen verdienen finanziell sehr gut an der Situation, wie sie gerade ist. Die Angst vor Veränderung ist noch zu groß. Wir sind als Menschheit im Bewusstsein noch nicht so weit entwickelt, was ich nicht bewerten will.

Darüber hinaus glaube ich fest daran, dass wir es schaffen werden, den Leistungszwang und die Korruption aufzulösen und dass uns das goldene Zeitalter erwartet, in dem wir anders miteinander umgehen werden. In einem goldenen Zeitalter wären der Mut und die Menschenliebe von Hans und Sophie Scholl keine Raritäten und Einzelfälle mehr.


Dahingehend danke fürs Teilnehmen an meinen Gedankengängen, an meiner Melancholie und an meiner Aufbruchstimmung. Dankbar bin ich sowohl für meine Schulzeit als auch für meine Erfahrungen auf der Psychiatrie. Der Bildungsstand vermag oft wenig über Menschen und deren Verstand auszusagen, das habe ich gelernt.

Egal, womit ihr euch gerade beschäftigt, wo ihr steht, was euch augenblicklich verletzt, was euch heilt, was euch traurig macht und was euch beglückt, ich fühle mit euch. Es ist leicht für mich, da ich so viel von anderen er(spüre). Ihr seid bedeutsam und kostbar für dieses Universum. Jede/r einzelne.

Habt es zauberhaft und erfüllend. Mein nächster Blog-Eintrag kommt nach den Herbstferien. Alles alles Liebe und Gute und vielleicht bis bald!

Namaste

Barbara


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