Sie fühlte sich abgespeist von der Schaumfüllung ihrer Tagträume. Die Nachtträume hingegen gebärdeten sich ermüdend, ernüchternd hart, unveränderlich und maskenhaft, während der fluffige Schaum tagsüber unaufhaltsam entglitt, ihr zwischen den Fingern zerrann. So wie all die Kontakte und Menschen, die sie fest an sich zu binden versuchte.
Warum war Schaum so flüchtig und nicht zu bewahren? Er wirkte uninteressiert und kokett, mit ihrer Sehnsucht spielte er wie ein Don Juan oder Casanova. Dennoch war er nicht ohne Zärtlichkeit und Sanftmut, sie liebte die distanzierte und fließende Konsistenz des Traumstoffs, sie wollte ihn ganz für sich, auch wenn ihr dieses Besitzen-Wollen an ihr missfiel und Schmerzen bereitete.
Waren die Nachtträume insgeheim die Wahrheit oder waren sie der Redestil, die atmosphärische Stimmungsfarbe und die Bildaussagekraft ihrer eigenen Gefühle, vor allem ihrer Ängste? Ein Schaumrennen nach dem anderen? Ein Wetteifern der Eindrücke, die sie während ihrer bisherigen Lebenszeit aufgenommen hatte? Waren es besonders die Schaumflöckchen, die sie wie Zuckerwatte im Speziellen gierig eingesaugt hatte?
Was war Wahrnehmung, wenn nicht etwas, das man zu sehen und zu bemerken GLAUBTE, das die eigene Innenwelt schuf und kreierte? Die Nachtträume jedenfalls basierten auf expressiver Entladung, zauberhafter Transzendenz und hochintensiver Transformation. Psychosen bildeten eine Mixtur aus Tag- und Nachtträumen, aus Erinnerungen an die allumfassende Existenz. Deshalb ist es im Traum auch möglich, jede Gestalt anzunehmen und Dinge zu vollbringen, die uns im Wachzustand unmöglich erscheinen.
Früher fühlte sie sich als ein Opfer ihrer Träume, sah sich ihrer Wirkung ausgeliefert, hatte Angst zu schlafen, Angst dabei zu träumen. Doch sie war es, die ihren Träumen eine individuelle Bedeutung gab, sie ordnete sie in die Imagination ihres Geistes ein, sie war definitiv Schöpferin ihrer Träume, auch der Albträume.
Nun, die Träume flossen durch den Filter ihres Gedächtnisses, ihrer Fühlrezeptoren, ihrer Perzeption, um schließlich von ihr verarbeitet und reflektiert zu werden. Sie waren ihre INNERE Wahrheit, fernerhin waren sie auch die äußere? Manchmal vielleicht war etwas Wahres an ihnen, insbesondere dann, wenn sich Botschaften immer wieder wiederholten. Bisweilen konnten sie aber ebenso eine Schaumshoweinlage sein. So wie das gesamte Leben? Ja, genau.
Welchen Traum hatte sie sich erfüllen wollen, indem sie in dieses Leben gegangen war, sich bewusst darauf eingelassen hatte? Welche Akzente wollte sie setzen, was hervorheben und betonen, wo keine oder wenig Aufmerksamkeit hinlenken?
Irgendwann würde sie möglicherweise allem Aufmerksamkeit geschenkt haben, alle Lebenswege beschritten haben? Niemand hatte je ausgelernt und das machte ihr keine Angst mehr, sondern weckte ihren Elan und ihren Frohsinn. Das Leben konnte ein Schaumgenuss, eine Schaumspeise, ein Traumgespinst sein, andererseits ein in Mauerwerk gegossener, starrer Klumpen, etwas, wo man auf Granit beißen konnte.
So fühlte sie sich, wenn sie etwas loslassen „musste“, was sie halten wollte. Loslassen und Halten waren letzten Endes eine Bewegung, hatte sie gelesen. Das Loslassen löste Furcht in ihr aus, dass sie dadurch allein und leer sein könnte (oder dass sie Chance hätte es nicht zu sein?!), zumal sie ja durch das festgefahrene Festhalten allein war. Nein, das stimmte nicht, obgleich es sich ab und zu so anspürte, allein war niemand zu keiner Zeit.
Da spießte sich etwas in ihrer Wahrnehmung, der Schaum der Illusion schwebte wie eine luftig flauschige Gewitterwolke über ihr. Sie sah die ganze Welt durch dieses Trugbild hindurch.
Wie wenn man einen Polster aus Schaumstoffbällchen in der Waschmaschine wusch und der Polster im künstlichen Waschmittelschaum getränkt würde. Wie schwer war es, den Polster trocken zu bekommen, ohne dass die Schaumbällchen zusammenklebten. Zu erreichen, dass sie sich wieder losließen, frei waren und doch zusammen. So fühlte sich ihr Gehirn an.
Manchmal blieb für den Polster nur noch die Putzerei (durch andere) oder die Entsorgung (von Gedankenmustern) und das Erstehen eines neuen Polstertraums. Aber das schien utopisch zu sein, da sie so sehr an seiner schneeweißen Aufmachung hing.
„Ich glaube, dass die Männer MENSCHEN sind.“, hatte einmal jemand zu ihr gesagt. Sie war völlig verblüfft gewesen und die Kinnlade war ihr runtergesaust, zumal sie stets der fixen Auffassung war, dass Männer mystische Prinzen auf weißen Pferden wären.
Sie hatte sie als rücksichtlos und kalt eingestuft, wenn sie sich gegen diese Zuschreibung gesträubt hatten, das Bild nicht erfüllen wollten. All die Jahre über.
Jedoch, wie war es heute? Sie erkannte, dass sie selbst einfach SEIN-KÖNNEN wollte, und dass sie dieses Gefühl auch anderen vermitteln wollte. Und dass sie anstrebte loszulassen, nicht loszulassen, damit dann jemand im Speziellen zu kommen vermochte, denn das war nicht loslassen. Nein, sie wollte das Klammern und Anhänglich-Sein nicht mehr brauchen, sie hatte SICH und sie würde das, was sie gerade nicht spürte, was andere ihr spiegelten, irgendwann wiederfinden.
Sie bereute dennoch nichts. Nicht das Fabulieren im Walt Disney-Format, nicht die überschäumende Fantasie, nicht die Psychosen, durch die sie das Leben aufgrund der emotionalen Extremzustände aus einer vollkommen anderen Perspektive sah. Sie hatte das Gefühl, dadurch hinter die Kulisse der Welt spähen zu können.
Und sie liebte das Traumschäumen in göttlicher Weiblichkeit im Schaumbad des verträumten Lichtglimmers ihrer Lebenstraumexperimente …
Die Welt stand ihr offen und sie war weltoffen …