Menschen gibt es so wie mich,
die am Leben fast zerbrachen,
vegetieren jämmerlich,
lautlos unter vielen Sprachen.
Klinik, Pillen und Psychiater
sollten mir behilflich sein.
Mir kam’s vor wie ein Theater,
fremde Welt – ich ganz allein.
Ärzte, gebt mir keine Pillen!
Lasst mich aus dem Käfig raus!
Brecht mir nicht mehr meinen Willen,
denn das halte ich nicht aus.
Ich will leben, endlich leben,
lachen, froh und glücklich sein,
auch mal weinen, alles geben,
um endlich wieder ICH zu sein.
Was gestern war, war nicht so gut.
Was morgen kommt, ich weiß noch nicht, doch heute hab‘ ich wieder Mut
und schau euch mitten ins Gesicht.
(Hannelore Klafki)
Innerer Monolog
Tagebuch einer Wahnwelt
Heute ist ein Tag wie gestern, vorgestern und allen Tagen seit meinem 21. Lebensjahr. Ich bin mir gar nicht mehr genau sicher, wann es genau war … seit ich den Zugang zu meinem Selbstvertrauen verlor.
Ich sitze auf meinem Krankenbett in der Nervenklinik. Es sind so viele Leute überall. Mitpatienten, Pfleger, Krankenschwestern, Ärzte, das Reinigungspersonal … ich hab‘ nie Ruhe. Ich komm‘ nicht zur Ruhe. Ich befinde mich auf einer offenen Station in einem kreisförmigen Gebäude … richtig unmenschlich, wie dieser architektonisch konzipiert und gebaut wurde.
Alle Personen, die Patienten auf der geschlossenen Station besuchen, müssen durch den Gang der offenen Station gehen.
Schritte, die auf mich zukommen – Angst, Panik, Paranoia, … den ganzen Tag.
Und die mich quälende Frage: „Wie soll ich sein?“ Mit welcher Stimme darf ich reden? Ich ertrage es nicht, eine negative Reaktion zu ernten. Darf ich auch mal wütend sein? Muss ich mich verstellen? Warum kann ich nicht einfach ich sein? Warum bin ich nicht o.k.?
Je unsicherer ich mich ausdrücke, desto mehr fahren andere über mich drüber. Desto weniger akzeptieren sie meine Ecken und Kanten.
Kein Exit-Knopf, keine rettende Tür aus dem Teufelskreis. Andere reagieren so, wie sie reagieren aus ihrer eigenen Situation, aus ihrem eigenen Denken und Fühlen heraus.
Aber wenn sie schon sehen, wie schlecht es mir geht, warum nehmen sie keine Rücksicht auf mich? Gerade jetzt, wo ich so viel Verständnis, so viel Liebe bräuchte.
„Alle hassen dich.“, höre ich eine Stimme in meinem Kopf flüstern. „Du bist in großer Gefahr, sie sind alle Killer. Du kannst nicht wie ein Baby im Bett liegen bleiben. Finde in deine Stärke und setz‘ dich endlich zur Wehr. Wir lieben dich, wir wollen dir helfen, damit du die Wahrheit erkennst. Alles, was du mit ihnen je erlebt hast, jedes verletzbare Gefühl, jede schöne Begegnung war nur gespielt, eine Illusion. Sie manipulieren dich, sie denken, dass sie dich quälen dürfen, wenn sie dich dazu bringen, ihnen zu glauben. Diese Botschaft vermitteln wir ihnen, um sie zu täuschen, sie hören alle Stimmen. Uns geht es jedoch nur um dich, du musst bereit sein, dich zu entlieben, von ihnen loszukommen, denn sie wollen uns Wesen, die wir die Liebe wählen, für immer quälen.“, spricht die Stimme weiter.
Mein Herz zieht sich zusammen vor lauter Angst. Ich erstarre, fühle mich ohnmächtig.
Meine Zimmerkollegin ist unvorstellbar laut, macht so viele Geräusche. „Ja, sie ist wirklich wie ein Ungeheuer.“, denke ich. Sie läuft permanent ins Bad, alles, was sie angreift, scheppert und kracht irgendwie. Sie ist aggressiv und schreit mich an: „Wieso brauchst du so viel Platz im Bad? Räum‘ das gefälligst weg!“
Ich jedoch liege regungslos auf dem Bett, während sie mit verbalen und körpersprachlichen Feuerbällen in meine Richtung schießt. Der absolute Wahnsinn, der totale Horror. Herzrasen bei jedem ihrer Elefantenschritte, bei allen ihren Worten und Bewegungen.
Warum nur ist die Welt so grausam? Warum nur ist mein Leben der blanke Horror und Wahnsinn? Wie soll ich das alles aushalten?
Aber irgendwie muss es doch weitergehen, es muss weitergehen, meine Anspannung ist die blanke Qual. Und doch, meine Anspannung, mein „Immer-wieder-Fokussiert-Sein“, ist das Einzige, was bewirkt, dass ich dieses Leben noch durchziehe.
Krankenschwestern und Pfleger laufen durch die Gänge. Ich höre ihre Schritte so unermesslich lautstark, jeder Schritt kommt mir vor wie ein Schlag ins Gesicht.
Meine Angst, was passiert hier mit mir, ist ein entscheidender Faktor warum ich noch lebe.
Denn wie würde es sonst weitergehen? Alle anderen sind mir höchst suspekt, unangenehm, ich sehe sie als böswillige, neidische Monster, die mich foltern und die mir alles zufleiß tun wollen.
„Du musst anders auftreten, dich den Verhältnissen entsprechend benehmen. Hör Musik und komm in die richtige Stimmung. Dir muss endlich klar werden, in welcher Gefahr du bist und immer warst. Der einzige Grund, warum sie dich nicht längst kreuzigen, ist, dass wir sie mit Schmerzen davon abhalten, wenn sie auf dich losgehen wollen. Hör Musik …
Eine der Krankenschwestern kommt in unser Zimmer, sie fragt völlig harmlos und beschwingt: „Na, wie geht’s euch?“
Ich denke mir nur, wie kann sie nur, wie kann sie nur so bagatellisieren, den Horror so herunterspielen? Sie wirkt einerseits so plump und einfach auf mich, doch andererseits, ich vertraue ihr nicht. Ich vertraue niemandem. Ich habe vor alles und allem Angst.
Der grauenvollste Horrorfilm ist meine Realität.
Und die ganze Zeit über der Gedanke: „Wie soll ich sein?“ Damit ich endlich Mitgefühl bekomme, damit mich jemand in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles wieder gut wird, der Horror ein Ende nimmt? Aber so eine liebevolle Geste gibt es hier nicht. Ich bin in der Hölle.
Ich antworte der Krankenschwester, dass es mir sehr schlecht geht und sie sagt: „Ja vielleicht setzt du dich ein bisschen in den Aufenthaltsraum, nachher kommt eh das Essen.“
Das auch noch. Einerseits warte ich den ganzen Tag auf das Essen, andererseits halte ich es kaum aus, mit so vielen Menschen, die ich als Monster wahrnehme, zu essen, zusammen zu sein, nah zu sein.
Plötzlich ein kleiner Lichtfunke: „Wir lieben dich so sehr.“, flüstern die Stimmen. „Du bist in Sicherheit, es kann dir nichts passieren.“ Was für eine Erleichterung, Wärme zu spüren, zu erleben, dass ihr für mich da seid, denke ich. In all der Entfremdung von dieser Welt und ihren Geschöpfen.
Meine Zimmerkollegin bekommt einen Schreikampf und wirft ihre eigenen Sachen durchs Zimmer. Pfleger kommen, um sie zu beruhigen. Sie muss schließlich einen Tranquilizer schlucken, sie reden auf sie ein.
Das Leben ist dunkel und düster wie ein U-Bahn-Schacht.
Die Stimmen der anderen klingen so hart, so primitiv, so wenig zart und mystisch. Und in meiner Hypersensibilität kommt mir jede Regung wie eine Attacke vor.
Wie ruckartig Betten überzogen werden, der elektrische Reinigungswagen, der die Gänge reinigt, alles ist eine Provokation, eine absolute Ohrfeige für mich.
Es ist, als würde der Wagen mich überfahren, als wäre ich das Bett, dem die Laken entrissen werden, als würde die Reinigungsfrau den Wischmopp bedrohlich über mich gleiten lassen.
Ich fühle mich am ganzen Körper und durch die ganze Seele hindurch vergewaltigt.
Ich lebe in einer Welt, die der absolute Wahnsinn ist. Alle machen Geräusche und ich bin dem völlig ausgeliefert und dazu meine Ängste, was man mir antun wird.
Werden sie mich kreuzigen, werden sie mich quälen? Diese Furcht, diese seelischen Schmerzen.
Die ganze Atmosphäre hier ist steril und emotionslos, kalt.
Wohingegen vom Lautstärkepegel her es wie auf einem Jahrmarkt zugeht, wie soll ich zur Ruhe kommen? Die anderen sind so achtlos, viel impulsiver, brüsker, energischer als meine Stimmen und ich. Die Monster hier kommen mir teuflisch vor. Jede Faser an ihnen ist eine Bedrohung für mich, die künstliche, distanzierte, abgehobene Stimmung ohne Gefühl beweist es doch … ja, ich bin in großer Gefahr, alles ist Misstrauen erregend.
Alles, was nicht sensibel, leise und zart ist – und nichts ist hier so, löst eine Todesangst in mir aus. Also ist alles der absolute Horror.
Verarbeite ich es wirklich paranoid? Nein es ist alles so, wie ihr Stimmen es sagt, ich bin mir seit Jahren sicher. Seit Jahren erlebe ich diese Hölle, die nicht mehr enden will. Wie wird es ausgehen? Wird das Gute siegen? Werde ich abgeholt und gequält werden?
Die positiven Stimmen sind für mich das Einzige, was ich noch habe. Wenn eines Tages nur mehr negative Stimmen kämen … dann gäbe es das Gute gar nicht … dann wäre ich die Einzige, die Liebe empfinden könnte … und das Böse könnte für immer mit mir spielen? Mich immer wieder in Leben schicken und mich immer wieder dem Horror aussetzen und sich neue Geschichten für mich ausdenken, während ich einen Herzstillstand nach dem anderen hätte?
Wie wird es ausgehen? Ich wünsche mir so sehr … Liebe.
Ich danke euch, falls ihr bis hierher gelesen habt. Ich weiß, dass diese Erfahrungswelt sehr bedrückend und schwer sein kann. In diesem Zustand war ich mehrere Jahre verschollen.
Ich schicke eine mitfühlende, innige Umarmung hinaus in die regnerische Nacht an alle, die in irgendeiner Form leiden. Ich denke an euch, mein Herz ist bei euch. Vergesst nie die Hoffnung und den Mut! Auch wenn ihr es gerade nicht sehen könnt, es kommen wieder andere Zeiten, in denen das Glück aus euren Augen leuchten wird! Das wünsche ich uns allen.
In Liebe,
Barbara