Entlassung aus dem Krankenhaus nach dem Erleiden einer Fehlgeburt
Mein Wunschtraum ist wieder einmal geplatzt, hat sich in Luft aufgelöst. In Gegenwart meines Mannes gehe ich durch den Korridor der Station eines Krankenhauses, in dem ich vor Kurzem aufgenommen wurde. Ich fühle mich schwach, mein Mann stützt mich. „Danke, dass du da bist.“, murmle ich erschöpft und desorientiert.
„Schade, dass er mir nicht alles abnehmen kann, mein Leben nicht für mich leben kann.“, denke ich vor mich hin.
Ich wünsche mir schon so lange ein eigenes Baby, solange ich überhaupt denken kann, als ich selbst noch ein Kleinkind war. Damals sorgte ich für meine Puppe.
Im Alter von sechzehn Jahren hörte ich gleichaltrige Freundinnen oft sagen, dass sie ihr Kind sofort abtreiben lassen würden, wenn sie schwanger würden, während ich mir nur dachte: „Ich würde alles dafür geben, ein Kind zu bekommen …“
Der Korridor scheint endlos lang zu sein, wie weit wir auch gehen, er wird nicht kürzer. Alles wirkt leblos, um nicht zu sagen tot auf mich. Ja, ich wollte schon zur damaligen Zeit ein Baby haben, aber wäre das positiv für mich und für dieses Baby gewesen? Wäre das Baby an meiner überschwänglichen Liebe erstickt und ebenso an meinen Sehnsüchten?
Da ich selbst kaum Zuneigung bekommen hatte, als ich klein war, spürte ich so tiefe emotionale Bedürfnisse. Hätte ich dieses Kind als eigenes, freies Wesen erkennen können?

Ich weiß, was es heißt, keinen Freiraum zu haben und mir ist bewusst, was es bedeutet, zu wollen, dass immer jemand da ist … sich für so ein Leben zu entscheiden.
Die Fehlgeburt schmerzt mich so sehr, ich hätte so gerne diese liebe Seele kennengelernt, die ich die letzten Monate über in mir spürte, mit der ich sprach, mit der ich mich so innig verbunden fühlte. Sie wird für immer unvergessen bleiben, ich bin mir sicher, dass sie ein Mädchen war.
Indem ich ihr alles geben wollte, was ich nicht bekommen hatte, wollte ich auch meine eigenen Wunden versuchen zu heilen.
Mein Mann ist schweigsam und ich bin es auch. „Ich kann nicht mehr.“, keuche ich und breche zusammen, greife automatisch auf meinen Unterleib, aber da ist niemand mehr. „Ich will mein Baby zurück!“, schreie ich laut auf und beginne zu weinen.
Ich halte meinen Bauch vehement fest, während ich am Boden liege. Krankenschwestern stürzen auf mich zu und helfen mir auf. Sie überreden mich, eine Beruhigungstablette zu schlucken. „Komm Marilyn, du schaffst es. Die Show muss weitergehen.“, höre ich meinen Mann entschlossen sagen.
Ich überwinde mich und taumle vorwärts, setze in Zwergenschritten einen Fuß vor den nächsten, alles ist so anstrengend.
Wir erreichen schließlich den Ausgang und sehen draußen schon Heerscharen von Journalisten und Schaulustigen auf uns warten. Es ist wirklich so, als ob die Welt mich besitzen wollte und ich gebe indirekt meine Einwilligung dazu. Es ist mir lieber, als allein zu sein, unbeachtet zu bleiben. Jetzt noch einmal kurz durchschnaufen, bevor die Show losgeht.
Dieses grelle Licht – der enorme Druck – ich als Konsumgut.
Wie in Trance bemerke ich in einer Art schrillem Höhepunkt der Geräusche und Gefühle, dass die Tür sich öffnet und ein Blitzlichtgewitter mit hunderten Fragen und Zurufen losbricht.
Ich bin nicht so perfekt, wie sie glauben, dass ich bin, niemand hier kennt mich tatsächlich und dennoch dieser Wunsch nach Nähe zu mir bis hin zu Übergriffen. Abscheu und Rührung überkommen mich auf einmal.
„Danke ihr lieben, braven Fotografen, dass ihr für mich da seid und mir Halt gebt, dass ich gesehen werde. Ich bin so unsicher, doch wenn ihr mich fotografiert, erlange ich Halt, es ist jemand da, dem ich nicht egal bin. Durch eure Fotos werde ich unsterblich.
Auch wenn ich mir etwas vormache und ihr nur Geld mit euren Fotos von mir machen wollt oder sensationslüstern seid, ich danke euch für eure Aufmerksamkeit, ich liebe euch. Ich fühle mich für einen Moment geborgen und habe Vertrauen. Ich kann gar nicht anders, als zu lächeln, es ist nicht gespielt. Auf keinen Fall will ich euch enttäuschen, wenn ihr schon so zuverlässig seid!“, diese Gedanken gehen in mir vor.
Man bettet mich im Auto auf eine Tragbahre und es gibt mir so große Sicherheit, als mein Mann einsteigt, ich strahle ununterbrochen … funktionieren und den Schein aufrechterhalten, lautet meine Devise. Darauf ist meine Welt aufgebaut.
Ich kann mir die Anerkennung nicht selbst geben, also hole ich sie mir aus der Öffentlichkeit, von außen. Bewunderung zu bekommen ist wie Fass ohne Boden, ich brauche immer mehr davon. Es fühlt sich so an, als ob ich permanent in die Tiefe stürzte und darauf angewiesen wäre, dass jemand mich auffängt.
Die innere Leere, die durch andere aufgefüllt wird. Ich kämpfe mich von Sekunde zu Sekunde. Manchmal wünschte ich mir, ich wär‘ allein, dann wieder, wenn ich fotografiert werde, spüre ich diese Wärme und Lebendigkeit, diesen “Flow“ meiner Selbstdarstellungspassion. Ich verliere mich in den Meinungen und Blicken anderer.
Eine Sekunde Halt in der grenzenlosen Haltlosigkeit … ein Strohhalm, an den ich mich klammere … ein Kinderwunsch, der einfach nicht in Erfüllung gehen will … ich liebe dich, Baby!

Der Fahrer des Wagens startet den Motor und wir verlassen den Schauplatz.
Manches ist schon so lange her und trotzdem berührt es noch immer! Wie geht es euch damit? Viele Erinnerungen sind unvergänglich. Erst kürzlich hab ich ein Bild mit M.M. als Motiv in einem Museum gesehen und eines war in einer Galerie. Ihr Gesicht wurde zur Marke, zu einem Unikat. Sie wurde zu einem Phänomen, zu einer Kultfigur in der Kunst. Oft wirkt sie auf diversen Bildern so makellos, kitschig und hochstilisiert wie eine eingefrorene Statue auf mich.
Auch wenn die Welt sich mittlerweile sehr verändert hat, bleiben natürliche Bilder von ihr hingegen zeitlos schön. Der Geruch der paradiesischen Unsterblichkeit dringt aus ihnen. Auf ewig wirke die Vergangenheit und lasse uns lernen!
Ein wunderschönes Wochenende mit ganz viel Frühlingsgrün und Sonnengelb und glücklichen Gemütern trotz Sturmwarnung.
Magische, herzverbundene Grüße,
eure Barbara